Meine Bad-End-These

 

Warum wir uns im Leben immer um Happy Ends bemühen sollten

 

11.3.2015

 

Dadurch, dass ich auf dieser Website immer weniger schreibend aktiv bin, scheint es so zu sein, als ob ich mein Projekt ein bisschen losgelassen habe. Das Gegenteil ist der Fall. Ich bin intensiv dran.

Das letzte große Highlight war das vergangene Wochenende (6.-8.3.), an dem ich mit 11 TeilnehmerInnen weitere Experimente zum Thema "Empathie-Training" durchgeführt habe. ... und auch dieses Wochenende, so wie die Wochenenden im Januar und Februar, hat mich intensiv darin bestärkt, in diese Richtung immer weiter zu machen. Inzwischen wächst in mir das Konzept für die Eröffnungswochen der beiden Empathie-Schulen in Köln (15.5. - 23.5.) und in Karlsruhe (26.6. - 5.7.) heran.

 

Dass ich hier nicht mehr so viel schreibe, liegt unter anderem auch daran, dass alles formuliert ist. Alles Wesentliche habe ich in den ersten beiden Monaten geschrieben. Die dort formulierten Erkenntnisse stellen die komplette Basis dar, auf der alles wachsen wird. Weitere Erkenntnisse sind offenbar nicht mehr "nötig" - so ist jedenfalls mein Gefühl. Alles andere erschließt sich aus dieser Basis.

 

Was ich heute hier an dieser Stelle schreiben möchte, habe ich im Grunde schon am 23.2. in ähnlicher Weise geschrieben. Allerdings habe ich noch eine Formulierung oder Sichtweise, die diesen Zusammenhang vielleicht noch einmal auf andere Weise deutlicher macht - und uns dadurch auch konkrete Handlungsanweisungen geben kann. Wie ich das meine, werdet Ihr gleich merken.

 

Bereits im Jahr 2010 habe ich in meinem Buch Ich stehe nicht mehr zur Verfügung - Die Folgen ausführlich über die von mir entdeckten "emotionalen Phantomschmerzen" geschrieben.

Körperliche Phantomschmerzen tauchen auf, wenn ein Mensch einen Körperteil amputiert bekommen hat, wie z. B. die linke Hand, und er immer noch das Gefühl hat, die Hand sei noch da - schmerzt vielleicht sogar ab und zu.

Das liegt daran, dass der zur Hand gehörige Bereich im Gehirn nicht amputiert wurde, sondern immer noch fleißig weiter aktiv ist. Allerdings bekommt er keine neuen Informationen mehr von der Hand, die nicht mehr da ist. Er bleibt also in einem bestimmten Zustand "stecken". Und so kann man Phantomgefühle und Phantomschmerzen erklären.

 

Emotionale Phantomschmerzen sind genauso auf einfache Weise erklärbar - mit folgendem Beispiel: Stelle dir einmal vor, du telefonierst gerade mit einem guten Freund. Auf einmal schreit der andere vor Schmerz am anderen Ende der Leitung und gleichzeitig bricht der Kontakt ab. Du versuchst, ihn noch einmal anzurufen oder über das Internet zu erreichen, doch der andere meldet sich nicht mehr oder es ist besetzt oder die Verbindung lässt sich nicht mehr herstellen. Natürlich machen wir uns Sorgen. Wir befinden uns in der Vorstellung, dass es dem anderen gerade sehr schlecht gehen muss. Unser Gehirn ist in dem letzten Zustand unseres Gesprächs stecken geblieben. Wir projizieren permanent, dass es dem anderen schlecht geht, dass irgendetwas Schlimmes passiert sein muss.

In Wirklichkeit ist der andere nur aus Versehen beim Telefonieren über etwas gestolpert, ist gestürzt, hat dabei das Telefon fallen lassen, das dabei kaputt gegangen ist, und nun ist erst einmal kein Kontakt mehr möglich. Aber dem anderen geht es nach diesem kleinen Sturz eigentlich schon wieder gut - er ärgert sich nur über das kaputte Telefon. Wir dagegen denken immer noch, dass etwas ganz Schlimmes passiert sein muss und können uns nicht beruhigen. Wir können uns kein inneres "Happy End" geben, sondern stecken im "Bad End" fest.

Manche Krimiserien bauen auf diesem Effekt auf: Sie entwickeln im Laufe einer Folge eine spannende Geschichte, die sich am Ende in ein Happy End auflöst, aber die letzte Szene zeigt dann, dass doch noch nicht alles bereinigt ist. In der letzten Szene wird ein Ungleichgewicht oder eine wachsende Gefahr gezeigt und anschließend sofort diese Folge beendet. Der Film ist zu Ende. Und wir wissen nicht, wie es nun enden wird. Wir stecken in einem "Bad End" und haben den Wunsch, das Happy End zu erfahren, das uns aber erst in der nächsten Folge gezeigt wird. So wollen uns die Filmproduzenten locken, auch die nächste Folge noch anzuschauen, bis wir dann wieder ein Happy-End-Gefühl erleben dürfen.

Unser Gehirn ist so gestrickt, dass es sich immer den letzten Zustand abspeichert und selbst auch in diesem Zustand verharrt. Immer wenn wir an den Freund denken, denken wir an das schmerzvolle Ende unseres Telefonates. Treffen wir ihn wieder - auch wenn es Wochen später ist, dann wollen wir sofort wissen, was los war und wie es sich weiterentwickelt hat, um in uns auch wieder ein Happy End fühlen zu können.

 

Haben wir in unserem Leben Beziehungen zu anderen Menschen entwickelt und haben diese Beziehungen schmerzvoll geendet, dann müssen wir bei allem Gegenwärtigen, das uns in irgendeiner Weise an diese Beziehung erinnert, gleichzeitig auch an dieses schmerzvolle Ende denken. Die Gegenwart regt die Erinnerung (oft auch eher ein unbewusstes Gefühl) an ein Bad End in unserer Vergangenheit an.

Haben wir eine sehr lange Beziehung zu Menschen gehabt, die viele Bad Ends enthält, wie z. B. Eltern, die uns schmerzvoll bestraft haben oder streng geworden sind, ohne uns hinterher zu erklären, wozu diese Strenge gut war (eine sinnvolle Erklärung wäre nämlich eine Art Happy End), dann erinnern uns sehr viele gegenwärtige Situationen an diese schmerzvolle Beziehung. Die Folge: Wir spüren in der Gegenwart mehr Angst, verhalten uns übervorsichtig, halten uns zurück, haben Befürchtungen etc. Und das nur, weil die Gegenwart ein vergangenes "Bad End" (oder auch mehrere) in uns aktiviert hat.

Wir leben mit sehr vielen emotionalen Phantomschmerzen, weil wir in unserem Leben viele "Bad Ends" erleben mussten, anstatt Happy Ends. 

Die Lösung hört sich jetzt ganz einfach an - und ist auch leichter durchzuführen, wenn man sich dessen bewusst ist: Es geht darum, für unsere vergangenen Bad Ends neue Happy Ends zu finden - dann hört die schmerzvolle Wirkung in der Gegenwart auf. Dafür gibt es alle möglichen Techniken und Realitätsangebote, wie man rückwirkend aus einem Bad End ein Happy End macht. 

 

Schaut mal durch, was so im Lebenshilfealltag angeboten wird: Überall wird das Ziel verfolgt, Bad Ends unseres Gefühls/Gehirns in Happy Ends zu verwandeln.

Schon alleine ein "Achtsamkeitstraining", bei dem trainiert wird, aufmerksam in der Gegenwart den Atem oder die körperlichen Bewegungen genau zu beobachten, ist eine Art Happy-End-Training. Denn wenn ein Bad End aktiviert ist und man hängt mit seinen Gedanken und Gefühlen wieder an etwas Vergangenem und bringt sich dann in die Gegenwart, in der einem dann bewusst wird, dass die schmerzvolle Vergangenheit "vorbei" ist, dann ist das im Grunde eine Art "Happy End". Das Schmerzvolle ist vorbei. In der Gegenwart ist gerade nichts Schmerzhaftes. Das entspricht meinem Vorschlag vom 31.1., sich in die Gegenwart einzufühlen.  

Je bewusster uns wird, dass es im Grunde nur darum geht, Bad-End-Geschichten aus unserer Vergangenheit weiterzuentwickeln und dafür ein neues Happy End zu finden, umso gezielter können wir uns ransetzen und dies genauso auch tun.

Außerdem können wir in der Gegenwart gezielt dafür sorgen, dass wir miteinander immer Happy Ends erschaffen - so gut es uns möglich ist.

 

Die gegenwärtige Newtopia-Gemeinschaft zeigt uns, in wie vielen Bad Ends unsere Gesellschaft noch drin steckt und zwanghaft versucht, eigene Happy Ends erleben zu können, ohne dabei auf die Gemeinschaft achten zu können und ohne für die Happy-End-Gefühle anderer Menschen zur Verfügung zu stehen. Jeder kämpft (unbewusst) darum, sein eigenes Happy End zu finden und zu gestalten.

 

Wenn wir uns das alle bewusst machen, dann verstehen wir viel besser, was mit uns im Alltag los ist, wie wir von inneren Bad Ends beeinflusst werden, und wir können uns gegenseitig darin unterstützen, Happy Ends zu finden.

 

 

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© Copyright 2015 Olaf Jacobsen

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